“Zukunft Landwirtschaft” – Ein Einblick in den Bürger*innen-Rat Vorarlbergs
Stefan Schartlmüller war bei zwei Initiativgruppen dabei, die Bürger*innen-Räte zum Thema „Zukunft Landwirtschaft“ und „Umgang mit Grund und Boden“ via Unterschriftenaktion initiiert haben. Bei zwei Bürger*innen-Räten war er außerdem als stiller Beobachter mit dabei. In einem Interview mit uns erzählt Stefan Schartlmüller über seine Erfahrungen und Eindrücke zu den Bürger*innen-Räten in Vorarlberg, im Speziellen zum Bürger*innen-Rat „Zukunft Landwirtschaft“.
Aber was ist eigentlich ein Bürger*innen-Rat? Ein Bürger*innen-Rat ist ein mehrstufiges Verfahren, bei dem die Beteiligung von Bürger*innen im Vordergrund steht. Zufällig ausgewählte Bürger*innen erarbeiten an einem Wochenende Lösungsvorschläge für aktuelle Herausforderungen der Gesellschaft. Jeder Bürger*innen-Rat wird vom Büro für Freiwilliges Engagement und Beteiligung (FEB) begleitet. Im Anschluss eines Bürger*innen-Rates werden die Ergebnisse zusammengefasst und im Rahmen eines „Bürgercafes“ der Öffentlichkeit, sowie Ansprechpersonen aus Verwaltung, Gemeinde, Politik und relevanten Institutionen präsentiert und erweitert. In einem letzten Schritt werden die Vorschläge des Bürger*innen-Rates von einer Resonanzgruppe, die sich aus betroffenen Vertreter*innen aus Politik, Verwaltung, usw. zusammensetzt, einer Prüfung auf die Umsetzbarkeit unterzogen und nachfolgende Maßnahmen gesetzt und auch der Landtag muss sich mit den Ergebnissen beschäftigen.
Der Bürger*innen-Rat zum Thema Landwirtschaft, den du mit initiiert hast, ist jetzt 4 Jahre her. Welche Eindrücke sind dir da speziell in Erinnerung geblieben?
Einige Bürger*innen, die da dabei waren, haben erwähnt, dass ein Wochenende zu wenig Zeit ist, um für ein derart großes Thema Lösungen zu erarbeiten. Sie hätten sich mehr Informationen und mehr Zeit gewünscht. Das ist ein zentraler Punkt, der mir in Erinnerung geblieben ist.
Spannend war, dass das Büro für Freiwilliges Engagement und Beteiligung zusätzlich noch vor Beginn des Bürger*innen-Rates Landwirt*innen per Zufallsauswahl eingeladen hat, um im Vorfeld die Perspektive von Landwirt*innen einzuholen und die Ausgangslage für den Bürger*innen-Rat zu sortieren. Dazu wurden drei Workshops mit Bauern und Bäuerinnen in Vorarlberg durchgeführt. Das war grundsätzlich gut, jedoch haben Bauernvertreter versucht, sich da ohne Einladung einzuklinken, weil es kann ja nicht sein, dass man sowas ohne sie macht.
Die Ergebnisse, die schlussendlich dann bei diesem Bürger*innen-Rat herausgekommen sind, sind zwar einerseits sehr spannend, aber eben andererseits aufgrund des Zeitmangels zu wenig tiefgehend. Kürzlich wurde die neue Vorarlberger Landwirtschafts-Strategie veröffentlicht. Da stehen viele schöne Dinge drinn und die Regierung war auch bemüht zu erwähnen, dass viele Ergebnisse aus dem Bürger*innen-Rat berücksichtigt wurden. Es bleibt jedoch nur eine Strategie, die weitgehend aus Bekenntnissen besteht. Konkrete finanzielle Rahmenbedingungen für die Umsetzung einzelner Maßnahmen fehlen weitgehend.
Was bei dem Bürger*innen-Rat zum Umgang mit Grund und Boden auch noch rückgemeldet wurde war, dass auch zu wenig Bürger*innen dabei waren. Und viele haben auch gemeint, sie wären nicht der repräsentative Querschnitt von Vorarlberg. Ich finde also, da gibt es noch einiges an Potential für Weiterentwicklung, ein bissl was tut sich dabei aber auch schon, Schritt für Schritt.
Also „nicht repräsentativ“ im Sinne von, es sind zu wenig Bürger*innen dabei?
Ja, einerseits das. Und andererseits kommt es auch darauf an, je nachdem wie groß und komplex die Fragestellung ist, fühlen sich bestimmte Leute eingeladen oder nicht. D.h. wenn es eine eher komplexe Fragestellung gibt, werden tendenziell eher Leute beim Bürger*innen-Rat erscheinen, die zu diesem Thema schon das Wissen und Verständnis haben und sich auch trauen darüber zu reden. Als Beobachter beim Bürger*innen-Rat “zur Zukunft Vorarlbergs” im Jahre 2013 ist mir aufgefallen, wie wichtig es ist, auch Statements von Menschen zu hören, die zum Beispiel mit der Politik unzufrieden sind oder sich ohnmächtig fühlen. Solche Stimmen zu hören ist für das Gegenüber so wichtig, um zu sehen, es gibt auch Leute, die nicht so privilegiert sind wie ich selbst oder sogar benachteiligt sind. Die Frage dabei ist, wie weit traut sich die Politik die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen, um die Bürger*innen-Räte, weiterzuentwickeln, zu vergrößern und um den Einladungsprozess so zu gestalten, dass Menschen diverser teilnehmen können.
Der Klimarat auf Bundesebene war da schon einen guten Schritt weiter. Das waren 6 Wochenenden mit 100 Bürger*innen, also weit mehr als in Vorarlberg mit 15-20 Bürger*innen an nur einem Wochenende. Auch beim Klimarat hat man einiges dazugelernt, was man bei einem nächsten Mal besser machen kann. Auch in der Schweiz hat kürzlich ein Bürger*innen-Rat zur Ernährungspolitik stattgefunden. Nach erstem Blick darauf ist der ganz gut gemacht worden. Es waren knapp 100 Bürger*innen beteiligt, die sich im Verlauf von 6 Monaten getroffen haben und auch mehrere Bauernhöfe besucht haben. Der Prozess scheint sehr spannend gewesen zu sein und scheint auch ein gutes Beispiel für die gesamte Debatte der Bürger*innen-Räte sein.
Du warst ja auch bei Initiativgruppen von verschiedenen Bürger*innen-Räten dabei. Wie funktioniert das grundsätzlich und wäre es besser, wenn beim Bürger*innen-Rat konkrete Gesetzesvorschläge gemacht werden würden?
Vorarlberg war das erste Bundesland, das eine Präambel in die Landesverfassung geschrieben hat, die besagt, dass man die partizipative Demokratie fördern will. Aber noch ohne konkrete Ansagen, wie: Wie viel Geld wird zur Verfügung gestellt usw. Grundsätzlich kann Jede*r einen Bürger*innen-Rat zu einem bestimmten Thema starten, dazu braucht es 1.000 Unterschriften. Gerade gab es den 5. Bürger*innen-Rat nach einer Unterschriftenaktion, diesmal zum Thema Care-Arbeit.
Die Ausformulierung von Gesetzesvorschlägen wäre schon möglich. Eine Frage ist, ob das überhaupt notwendig ist, wenn dann bräuchte es dafür zusätzliche Expert*innen. In Irland wurden zum Beispiel konkrete Vorschläge sowohl ins Parlament zur Abstimmung als auch zu Volksabstimmungen gebracht. Irland ist sicher auch ein spannendes Beispiel, dort werden auch mehr Bürger*innen-Räte gemacht. Was sich inzwischen auch verbreitet, ist das Selbstverständnis, dass es keinen Automatismus geben kann, dass Ergebnisse aus Bürger*innen-Räten verpflichtend umgesetzt werden. Denn auch wenn ein toller repräsentativer Bürger*innen-Rat zustande kommt, wäre es schlussendlich noch immer so, dass 200 Leute bestimmen würden, was mit 5 Mio. oder 10 Mio. anderen Leuten passieren soll. Das geht sich nicht aus. Aber es wird sich trotzdem was verändern, v.a. aus der Unzufriedenheit heraus, die aktuell über die Politik herrscht. Ich glaube das größte Potential in Bürger*innen-Räten liegt darin, dass Menschen praktisch erfahren, dass Politik mit strukturierter Diskussionskultur auch ganz anders gemacht werden kann.
Wenn man jetzt wieder zur Landwirtschaft zurückkommt. Welche verhärteten Fronten gibt es dort und wie erklärst du dir das, dass sich viele Bäuerinnen und Bauern zunehmend weniger verstanden fühlen in der Bevölkerung?
Ja, ich würde sagen, da gibt es nach wie vor eine Polarisierung. Es ist schwer von der Hand zu weisen, dass es Spannungen zwischen Bio und Konventionell gibt. Die Naturschutz- und Klimafrage wird immer präsenter, das Thema der Bodenversiegelung wird immer größer. Da gibt es einen Haufen Problemfelder und Herausforderungen. Meiner Meinung nach gibt es auch viele Bauernvertreter*innen, die nicht einsehen, dass sich Dinge verändern. Das ist meine Wahrnehmung und da würden mehr und größere Bürger*innen-Räte zum Thema Landwirtschaft auch großen Sinn machen. Dann würden nämlich nicht nur 15 Menschen, mit zufällig einem Bauern, der zufällig ausgewählt wurde und auch genau da Zeit hat, zusammensitzen.
Ein Ergebnis des Bürger*innen-Rates in der Landwirtschaft war auch, die Beziehungen zwischen Konsument und Produzent zu stärken. Glaubst du, dass diese gestärkten Beziehungen die Landwirtschaft aus dieser Art „Opferrolle“ herausbringen und mehr Wertschätzung vonseiten der Gesellschaft schaffen können?
Ich bin überzeugt, dass sich Landwirtschaft und Konsument*innen wieder viel näherkommen sollten. Das sieht man am Beispiel der Solidarischen Landwirtschaft, dass es da viel Potential gibt. Landwirtschaft wird aus Ballungsräumen verdrängt, d.h. sie wird immer unsichtbarer. Das trägt aus meiner Sicht auch zu der gesellschaftlichen Polarisierung bei.
Und ich finde, landwirtschaftliche Betriebe gehören differenziert betrachtet. Mit allen Facetten, die es dort gibt. Sind Kinder oder Eltern/Schwiegereltern, Großeltern am Hof, die mithelfen, liegt der Betrieb in einer günstigen Lage, wo Direktvermarktung möglich ist, usw. Das sind alles wirtschaftliche Faktoren. Und davon hängt es dann teilweise ab, ob ich auf einem Betrieb erfolgreich sein kann oder nicht. Das entscheidet dann letztendlich auch, ob ich mit meiner Rolle als Landwirt*in zufrieden bin, und ob ich mit der Landwirtschaft weitermache oder nicht.
Bezüglich Opferrolle glaub ich, dass Bauern und Bäuerinnen in der Vergangenheit oft den Versprechungen von Lobbyisten nachgelaufen sind und sehr viel in Betriebszweige investiert haben, die sich im Nachhinein als nicht wirklich nachhaltig herausgestellt haben. Auch die Abhängigkeit von einem instabilen Markt verursacht Frustration und spielt dadurch eine Rolle. D.h. viele Bauern und Bäuerinnen sind in Investitionen gedrängt worden, die sich langfristig nicht rechnen. Man versucht also in seiner Rolle als Bauer das Beste daraus zu machen und fühlt sich dann schnell angegriffen, wenn plötzlich jemand sagt, dass man alles anders machen muss. Solche Veränderungen von heute auf morgen sind für Bauern, die vielleicht auch noch Schulden haben, nicht einfach. Es wäre wichtig, das als Gesellschaft zu sehen und zu verstehen.
Ich bin auf alle Fälle der Ansicht, dass Bürger*innen-Räte, Solidarische Landwirtschaft & Co. viel bewirken können, wenn es darum geht, als Gesellschaft und Landwirtschaft wieder mehr miteinander zu reden und wieder mehr zusammenzuwachsen.