Von Leerstand zu Leben: Innovative Lösungen für landwirtschaftlich geprägte Regionen und Gebäude

 

Ein Interview mit der Architektin und Bäuerin Katharina Forster 

Wochenmarkt in Dornbirn. Credits: Angela Lamprecht, Vorarlberg Tourismus

Gibt es Leerstand am Land und wenn ja, was ist das Problem?

Katharina Forster: Ja, es gibt Leerstand am Land, natürlich sind die Folgen von Leerstand je nach Region, konkretem Ort und spezifischen Gebäuden bzw. Eigentumskonstellationen sehr unterschiedlich. Zum Problem wird Leerstand dann, wenn er lange andauert und nicht ein einzelnes Objekt betrifft, sondern viele Gebäude bzw. ganze Straßenzüge oder sogar der Großteil eines Ortszentrums.

Der sogenannte Donut-Effekt spielt dabei eine zentrale Rolle. Dieser Effekt beschreibt die zunehmende Zersiedlung und Verlagerung von Siedlungsaktivitäten an den Rand von Ortskernen. Früher waren die Ortskerne kompakt und erfüllten die kommunalen Aufgaben, doch in den letzten Jahrzehnten wurde Bauland immer weiter nach außen gewidmet. Dies führt auch dazu, dass immer mehr Produktionsfläche für die Landwirtschaft verloren geht. Betriebe, Fachmarktzentren und Supermärkte werden außerhalb der Ortskerne gebaut, Menschen ziehen in Neubauten – am liebsten neue Einfamilienhäuser – am Rand, was dazu führt, dass wir immer mehr Straßen und Infrastruktur brauchen und gleichzeitig die inneren Ortskerne leer werden, weil dort niemand mehr wohnen will und auch keine Geschäfte oder Begegnungsorte da sind. Diese Entwicklung hat also zahlreiche negative Folgen und kann nur gestoppt werden, wenn sich strukturelle Rahmenbedingungen ändern.

Zersiedelung führt zu hohen Kosten, die von einer schrumpfenden Einwohner:innenzahl getragen werden muss. Die Gemeindekassen sind leer. Zudem sind die Arbeitsplätze häufig nicht in der Nähe der Wohngebiete, was zu einem hohen Mobilitätsaufkommen führt. Die Menschen müssen lange Wege in Kauf nehmen, um zur Arbeit zu gelangen, was den Individualverkehr erhöht und den öffentlichen Verkehr erschwert. Es gibt kaum noch zentrale Orte, die angefahren werden können, was die Attraktivität des öffentlichen Nahverkehrs weiter mindert.

Und trotzdem: kaum jemand will im Zentrum wohnen, alte Häuser, schwierige Eingentumsstrukturen, hohe Mieten, rundherum kaum Grünflächen, überall Parkplätze und Fahrbahnen für den motorisierten Verkehr statt Bewegungs- und Begegnungsflächen für Menschen – es sind enorm viele Ebenen, die das Wohnen im Zentrum auf den ersten Blick nicht attraktiv erscheinen lassen.

Warum entscheiden sich Menschen oft für Neubauten anstatt bestehende Gebäude zu sanieren?

Katharina Forster: Es gibt mehrere Gründe, warum sich Menschen häufig für Neubauten entscheiden. Erstens sind Neubauten in Siedlungsgebieten oft einfacher und konfliktfreier. Bestandsstrukturen haben häufig komplizierte Eigentumsverhältnisse, die Investitionen in attraktive Wohnmodelle erschweren. In vielen Fällen sind die Eigentumsverhältnisse so unübersichtlich, dass es schwierig ist, notwendige Sanierungen durchzuführen oder überhaupt erst die Zustimmung aller Eigentümer:innen zu erhalten.

Hinzu kommt, dass viele Bestandsgebäude einen erheblichen Sanierungsrückstau haben, der schwer zu bewältigen ist. Wenn nicht regelmäßig in die Instandsetzung investiert wird, entsteht ein enormer Sanierungsaufwand, der oft abschreckend wirkt. Nach rund 40-50 Jahren ohne Instandhaltungsmaßnahmen, entsteht ein Sanierungsrückstau, der für zukünftige Erben oder Käufer schwer zu bewältigen ist. Die Problematik, dass Sanieren oft schwieriger ist als Neu zu bauen wird noch verschärft durch die bestehenden Bauvorschriften und Gebäudeauflagen für Gewerbebetriebe. Viele dieser Vorschriften sind für Neubauten geschrieben und nicht für Bestandsbauten, was das Sanieren deutlich komplizierter macht.

Die Bauwirtschaft ist insgesamt sehr stark auf Neubau ausgerichtet, was ebenfalls ein Hindernis darstellt. Ein Gebäude abzubrechen kostet im Moment fast nichts, dabei sind zwischen 40-70% aller CO2 Emissionen bereits im Gebäude gebunden, würde man Bestand weiter nutzen. Es gibt zwar im europäischen Green Deal, den Versuch, Investitionen in den Bestand in Zukunft attraktiver zu machen, aber es wird noch lange dauern, bis die Vorschriften und das Förderrecht so weit angepasst sind, dass das Sanieren eines Bestandsgebäudes im Vergleich zum Neu bauen attraktiver ist. Ein Stopp für Neuversiegelungen von Böden wäre ein möglicher Ansatz, um diese Problematik anzugehen, aber das ist aktuell scheinbar noch eine utopische Vorstellung, die auf massive Widerstände stößt. Trotzdem wäre es ein wichtiger Schritt, um den Donut-Effekt zu stoppen und die inneren Ortskerne wieder zu beleben.

Welche Maßnahmen könnten ergriffen werden, um Leerstand zu bekämpfen?

Katharina Forster: Um Leerstand effektiv zu bekämpfen, müssen verschiedene Maßnahmen ergriffen werden. Grundsätzlich müssen auf Bundes- und Landesebene Rahmenbedingungen geschaffen werden, die nachhaltiges Handeln auf kommunaler Ebene wahrscheinlicher machen. Ein Ansatz wäre, Sanierungen attraktiver zu machen, damit Investor:innen eher in Bestandsgebäude investieren als in Neubauten. Dazu müsste das Förderrecht angepasst und die bürokratischen Hürden für Sanierungen abgebaut werden. Wichtig wäre auch, halb leer stehende Häuser in den Blick zu nehmen und Konzepte für bestehende Einfamilienhäuser zu entwickeln, um Wohnflächen zu aktivieren.

Ein weiteres wirksames Mittel sind inter-kommunale Konzepte voranzutreiben. Anstatt dass jede Kommune versucht, alles für sich zu haben, sollten Gemeinden stärker zusammenarbeiten und gemeinsam Lösungen entwickeln, wie sie die Einnahmen aber auch Ausgaben in der Region fair teilen können. Es müsste eine übergeordnete Landschafts- und Funktionsanalyse durchgeführt werden, die lokale Akteure in die Umsetzung einbindet. Die Aufgabe zukunftsfähiger Raumplanung wäre es, nicht mehr festzusetzen, WO was neu gebaut werden kann, sondern WIE was umgenutzt oder umgebaut werden kann. Wichtig ist dabei immer, das Bewusstsein für diese Problematik zu schärfen, damit sowohl auf lokaler als auch auf Landes-, Bundes und EU-Ebene das Verständnis für notwendige Maßnahmen vorhanden ist und entsprechende strukturelle Rahmen geschaffen werden.

Ein erfolgreicher Ansatz, um Leerstand zu bekämpfen, wurde in der Stadt Trofaiach in der Steiermark umgesetzt. Dort wurde ein sogenannter Leerstands-Manager angestellt. Die Stelle zielt darauf ab, Leerstände nach und nach zu beseitigen. Diese Manager arbeiten an der Schnittstelle zwischen Privateigentümer:innen, Politik, Wirtschaft und Verwaltung und reagieren auf lokale Bedingungen. Ihr Ziel ist es, einen Leerstand nach dem anderen wieder zu befüllen, und sie setzen dafür planungsstrategische Mittel ein, sind direkt vor Ort und vernetzen die Bedarfe und Beteiligten miteinander. Im Rahmen einer Ideenwerkstatt mit Bürger:innenbeteiligung wurde eine gemeinsame Vision für den Ort entwickelt, konkrete Projektimpulse wurden sofort umgesetzt und anschließend mit den Eigentümer:innen von insgesamt 30 leeren Geschäften und Gebäuden gemeinsam Nutzungskonzepte entwickelt. Das Büor des Leerstands-Managers befand sich natürlich auch direkt im Zentrum – Trofaiach konnte durch diese Maßnahmen den Leerstand erfolgreich bekämpfen.

Ein weiteres Beispiel ist Hohenems in Vorarlberg. Hier wurde durch die Initiative eines privaten Projektentwicklers, gezielt in die Wiederbelebung der Innenstadt investierte. Durch die Wiederansiedlung von Einzelhandelsstrukturen und die Belebung der Stadtkerne durch neuen Wohnraum im Bestand konnte der Leerstand effektiv bekämpft werden. Solche Beispiele zeigen, dass es möglich ist, den Leerstand zu reduzieren, wenn gezielt Maßnahmen ergriffen werden und verschiedene Akteure zusammenarbeiten.

Wie sieht die Situation bezüglich Leerstand in der Landwirtschaft aus?

Katharina Forster: Auch die Landwirtschaft ist von einem strukturellen Wandel betroffen, der zu Leerständen führt. Es gibt viel historische Bausubstanz, die für die Eigentümer:innen nicht einfach zu managen ist. Oft wird neben dem alten Bauernhaus ein neues Einfamilienhaus hingestellt oder ähnlich wie im halb leer stehenden Einfamilienhaus wohnen auch im Bauernhaus viel weniger Menschen und es gibt Teilleerstände. Grundsätzlich ist wichtig, dass die Landwirtschaft weiterhin möglich bleibt und Höfe, die innerörtlich liegen, weitergeführt werden können und nicht verdrängt werden. Es gibt Potenzial in neueren Formen der Landwirtschaft wie zB. der Marktgärtnerei mit Direktvermarktung, die auf wenig Fläche Gemüse anbauen und somit auch in innerörtlichen Lagen realisierbar sind.

Wenn Höfe – also die Bestandsgebäude – nicht mehr landwirtschaftlich genutzt werden, ist es notwendig, die Potenziale der Hoflagen zu erkennen und sinnvoll zu nutzen. Beispielsweise könnte man prüfen, inwieweit Mehrgenerationen-Wohnen umsetzbar ist. Dies ist jedoch von unterschiedlichen Vorgaben in der Raumordnung der Bundesländer und der konkreten Flächenwidmung abhängig.

Wenn der fortbestand eines landwirtschaftlichen Betriebes gesichert ist, kann durch die Aktivierung von Leerstand oder Teilleerstand auch eine praktische Nebeneinkunft erzielt werden, die ein bisschen den Druck nimmt, das Einkommen ausschließlich über die landwirtschaftlichen Erzeugnisse bestreiten zu müssen. Eine betriebliche Diversifizierung also. Nebeneinkünfte sind leider oft notwendig, um die Landwirtschaft weiterzuführen. Wenn man es positiv betrachtet, bietet der bauliche Bestand einer Hofstelle aber auch viele Chancen, das eigene Tun sinnvoll zu ergänzen, andere Wertschöpfungsketten zu aktivieren oder sich Krisensicherer aufzustellen durch Zusatzeinkünfte. Im Austausch mit neuen Bewohner:innen kann auch frischer Wind in die Dorfgemeinschaft oder an den Hof kommen. Gemeinschaftsprojekte und neue Wohnmodelle könnten ebenfalls dazu beitragen, den Leerstand zu reduzieren und bestenfalls die landwirtschaftlichen Klein-Strukturen vor Ort zu erhalten.

Welche Rolle spielt Diversifizierung in der Landwirtschaft?

Katharina Forster: Eine Plattform wie “Perspektive Landwirtschaft” könnte dabei helfen, Menschen zu finden, die auf einem Hof wohnen möchten und ihre Fähigkeiten einbringen können, was die Landwirtschaft insgesamt attraktiver machen könnte. Die baulichen Strukturen müssen aber auch soweit vorbereitet sein, damit Wohnungen vermietet werden können.

Diversifizierung kann die Landwirtschaft erheblich stützen. Eine Gefahr ist jedoch auch gleichzeitig das Aufhalsen von Mehrarbeit. Die Arbeitslast in der Landwirtschaft ist grundsätzlich schon recht hoch. Durch zusätzliche Betriebszweige wird der Aufwand nicht weniger. Das muss gut konzipiert und überlegt sein. Wenn die Rahmenbedingungen zur Kooperation aber stimmen, wäre sicher Potenzial da, dass unterschiedliche Menschen, gemeinsam Projekte starten, die eine einzelne Landwirtin oder ein Landwirt vielleicht nicht umsetzen würden. Derartige Diversifizierungsmöglichkeiten, bei denen etwas nicht genutztes wieder in eine Nutzung kommt, könnten die Landwirtschaft wieder attraktiver machen.

Insgesamt gibt es viele Möglichkeiten, den Leerstand in der Landwirtschaft zu bekämpfen, wenn man die bestehenden Strukturen sinnvoll nutzt und neue, innovative Konzepte entwickelt. Es ist wichtig, die Potenziale zu erkennen und Maßnahmen zu ergreifen, um die landwirtschaftlichen Betriebe und die ländlichen Gemeinden nachhaltig zu stärken.

Liebe Katharina, vielen Dank für das Gespräch!

Weitere Infos

Katharina Forster arbeitet als Architektin bei nonconform und ist Bio-Bäuerin in Braunau. Das Interview führte Margit Fischer