Über unseren Umgang mit der wertvollen Ressource Boden aus Sicht der Raumplanung
Raumplanung und Landwirtschaft – Beziehungsstatus: “Es ist kompliziert”
Wenn Sie sich vorstellen, Sie fliegen als Raumplanerin über Österreich, was kann man über unsere Landwirtschaft sagen?
Grundsätzlich kann man sagen, dass durch die starke Zersiedelung weiter Teile Österreichs auch sichtbar ist, dass Teile der Landwirtschaft bis heute ihr Überleben auch durch Liegenschaftsverkauf gesichert haben. Es gibt eine Untersuchung aus Nordtirol, wo ein Drittel der Bauern schon in den 1970ern gesagt hat, sie könnten nicht existieren, wenn sie nicht ständig Grundstücke zur Bebauung verkaufen würden. So war und ist es bis heute eher dem Zufallsprinzip und den individuellen Schicksalen geschuldet, wie sich die Bebauung gerade am Land entwickelt hat. In anderen Ländern, z.B. in Südtirol, war man strenger, indem man dort die Freizeitwohnsitze weitgehend hintanhalten konnte. In Österreich hat man diese in den Tourismusregionen hingegen völlig aus dem Ruder laufen lassen. Insgesamt wurde durch das fortgesetzte Bauen in chaotischen Mustern an falschen Standorten viel mehr Boden verbraucht als notwendig ist, um die Bedürfnisse der Dauersiedler abzudecken.
Hat das die Politik verschlafen?
Die Politik hat das nicht nur verschlafen, sondern teilweise gefördert, weil sie die Wichtigkeit des Erhalts landwirtschaftlicher Flächen nicht anerkannt hat. Erst heute in der Krise bemerken wir als Volkswirtschaft wie groß die Abhängigkeit auch von Lebensmittelimporten ist, etwa die aus der Ukraine bei Sonnenblumenöl und Weizen oder dass es die Zutaten für Fruchtjoghurts aus Indien braucht. Allein schon aus diesem Grund müssen wir sehr darauf achten, dass wir die Ernährungssouveränität durch eine entsprechende Bodenausstattung sichern und sorgfältiger mit Boden umgehen. Jährlich vernichten wir in Österreich allein durch Versiegelung die Ernährungsgrundlage von 20 000 Menschen!
Beispielsweise im Salzkammergut ist der Druck auf den Boden sehr hoch, weil sich die Leute wegen der Seen und der Berge dort ansiedeln wollen und da gibt es immer wieder neue Tricks, wie man die geltenden Restriktionen für Freizeitwohnsitze umgehen kann. Aktuell sind es die sog. buy-to-let-Konstruktionen, bei denen insbesondere ausländische Geldgeber z.B. in die Errichtung von Chaletdörfern investieren, diese mit Einrichtungen und Dienstleistungen des Gastgewerbes ausstatten, sodass sie dann nicht als Zweitwohnsitze, sondern als Anteile an einer Hotelanlage verkauft werden können. Die Leute erwerben so nicht eine bestimmte Ferienwohnung, sondern bloß zeitlich limitierte Nutzungsrechte an einer Wohnung in einem Hotelkomplex, verbunden mit der Verpflichtung, diese zur Vermietung für weite Teile des Jahres dem Betreiber der Anlage zu überlassen. Nach und nach fallen dann Rezeption, Frühstücksraum, Reinigung etc. weg und nach Jahren, wenn alles ausfinanziert ist, handelt es sich um gewöhnliche Ferienwohnungen. Aber da ist es dann zu spät darauf zu verweisen, dass keine Ferienwohnungen in der Region als Vorbehaltsgebiet errichtet hätten werden dürfen.
Gewährt das Eigentumsrecht zu viele Freiheiten? Oder woher kommt dieser verschwenderische Umgang mit Boden?
Österreich hat die Sozialpflichtigkeit relativ dicht gewoben, man kann mit Eigentum an Immobilien nicht tun, was man will. Wenn man z.B. einen Wald hat, dann kann man den nicht einfach abholzen und eine unbestockte Fläche daraus machen, um diese dann als Bauland zu verkaufen, damit aus einem Grundstück zweimal Kapital geschlagen werden kann.
Das Problem der Raumplanung in Österreich ist, dass wir über Jahrzehnte die Baulandwidmung nur als Nutzungschance begriffen haben und nicht als Nutzungsverpflichtung. Damit hat sich über die Zeit ein enormer Baulandüberhang aufgebaut, auf Basis dessen die Siedlungsentwicklung kaum mehr im Sinne einer sparsamen Inanspruchnahme des Bodens gesteuert werden kann. Etwa 25% des gewidmeten Baulands sind noch nicht bebaut. Das heißt, wir müssen die größte Anstrengung darauf konzentrieren, wie wir den Überschuss an ungenutztem Bauland wieder loswerden können. Prinzipiell stehen dafür einige Wege nunmehr offen, die allesamt aber nicht leicht beschritten werden können. Man könnte – um nur ein Beispiel zu nennen – rückwidmen: aber das ist denkbar schwierig, weil für die öffentliche Hand unter Umständen Entschädigungspflichten daraus erwachsen. Das ist z.B. dann der Fall, wenn der Kauf der in Rede stehenden Liegenschaft seinerzeit zum Baulandpreis erworben wurde. Da ist dann die Differenz zwischen aktuellem Bauland- und Grünlandpreis zu entschädigen. Heute geht man sukzessive über, den Entschädigungsanspruch zeitlich zu limitieren.
Die Landwirtschaft hat lange von der Substanz gelebt, haben Sie gesagt. Was waren und sind die Ursachen?
Die Ursachen sind sicher Großteils auf den agrarischen Strukturwandel zurück zu führen. Das Problem war und ist in vielen Fällen die zu geringe Ertragsfähigkeit der Landwirtschaft, insbesondere bei den kleinen, konventionell geführten Betrieben. Man hat eine “Wachse- oder-weiche-Politik“ verfolgt, ohne dies auszusprechen. Die, die übrig geblieben sind, sind immer größer geworden durch Pachten oder Kaufen. Die schwindende Ertragsfähigkeit hat zu Existenzproblemen und einer negativen Beurteilung bei den Betriebsführern geführt. Das haben viele Kinder von ihren Eltern mitbekommen: Der Vater musste sich einen Haupterwerb suchen und die Mutter hat die kleine Landwirtschaft weitergeführt. Die nächste Generation hat die große Arbeitsbelastung der Vorgängergeneration erfahren und selbst keine Zukunft mehr in der Hofübernahme gesehen.
Ich kann aber auch erkennen, wie die Industriegesellschaft seit Jahrzehnten dazu neigt z.B. in internationalen Handelsabkommen die heimischen Bauern zu „verkaufen“: Um die Industrieprodukte, die in immer rationelleren Produktionsvorgängen in unseren Breiten gefertigt werden, zu exportieren, hat man diese gegen verpflichtende billige Agrarimporte getauscht. Das jüngste dieser Art war CETA, das wegen Bürgerprotesten zurückgezogen werden musste.
Demo 2014 in Wien gegen CETA und TTIP, Foto Credits: Christoph Liebentritt
Auch der EU-Beitritt und die damit verbundenen Auflagen, z.B. der Laufstall, haben den Investitionsdruck erhöht, hören wir oft und das war auch Auslöser für die heimischen Bauern Grund und Boden zu verkaufen. Was ist da dran?
Ja, sicher, da hatte man oft nicht genügend Geld, um die Investitionen ohne Grundverkauf zu tätigen. Aber ich mache auch Teile der Bauernschaft den Vorwurf, dass sie oft sehr strukturkonservativ sind. Sie sehen sich auch gerne in der Opferrolle, es kommt zu wenig Innovation, ich meine, dass man z.B. neue Produkte erzeugt, in Qualität und nicht in Quantität geht oder sektorübergreifend sich auf neue Kooperationen einlässt z. B. mit der Medizin – wie Phytomedizin – oder mit der technikbasierten Industrie – wie Produktion nachwachsender Werkstoffe. – Für mich ist da meine Nichte ein Vorbild: Sie und ihr Mann sind „Einsteiger“, die neue Wege beschreiten: Sie haben einen Stall gebaut und und züchten, verwerten und vermarkten als Bergbauernbetrieb auf 1800m Seehöhe an das raue Klima angepasste alte Nutztierrassen. Sie haben ihre Nische gefunden.
Es liegt aber auch an der Ausbildung: Wenn man da hört, du musst auf Menge gehen, ständig rationalisieren, sich fast selbst aufgeben, damit man mehr rausholt, dann ist es kein Wunder, dass viele Junge einen anderen Berufsweg einschlagen. Da müsste man mehr auf Kreativität setzen. Aber genau mit innovativen Leuten, mit Quereinsteigern, geht man oft nicht wertschätzend seitens der Etablierten um. Sie werden tendenziell von den weichenstellenden Entscheidungsgremien fern gehalten.
Mit Perspektive Landwirtschaft suchen ja viele weichende Erb*innen, aber auch viele Quereinsteiger*innen eine außerfamiliäre Hofübernahme. Welche Rolle spielt das Erbrecht bei der Hofübergabe?
Wir haben zwei Erbtraditionen in Österreich, einerseits die Realteilung, andererseits das Anerbenrecht:
Die Realteilung bereitet der Raumplanung Kopfzerbrechen, als sie den Boden oft im Erbgang in die Hände von Nichtbauern führt. In Vorarlberg beispielsweise gehören bereits zwei Drittel des landwirtschaftlich genutzten Bodens nicht mehr Bauern. Die Realteilung produziert zudem Grundstückszuschnitte, die oft so klein oder schmal sind, dass sie keine Bebauung auch in aus Sicht der Raumplanung guten Lagen zulassen.
Am Anerbenrecht ist für die Raumplanung problematisch, dass die weichenden Erb*innen oft mit einem Baugrundstück auf familieneigenem Grund abgefunden werden wollen und das führt in der Praxis gerade in Regionen mit traditioneller Streusiedlung zu einer starken Anfeuerung der weiteren Durchschneidung der Agrarflächen mit Bauten und Straßen.
Aber die Beziehung zwischen Raumplanung und Landwirtschaft ist grundsätzlich problematisch:
Das aktuelle Raumplanungsrecht weist der Widmung „Grünland“ nur die Position einer Restfläche zu, indem bestimmt wird, „Grünland“ ist, was nach der Ausweisung von „Bauland“ und „Verkehrsfläche“ übrig bleibt. Mit der Widmung „Grünland“ werden dementsprechend die Erfordernisse aus agrarstruktureller Perspektive und die der Bodengüte zu wenig berücksichtigt.
Unter den sieben Daseinsgrundfunktionen der Raumplanung kommt das “Ernähren” nicht vor, obwohl es die Grundvoraussetzung auch der menschlichen Existenz ist. Wenn man nichts zu essen und zu trinken hat, braucht man sich über andere raumrelevante Nutzungen wie Wohnen, Arbeiten oder Mobilität erst gar nicht den Kopf zu zerbrechen. Die Ursache für diese Fehleinschätzung der Bedeutung der Landwirtschaftsflächen liegt meines Erachtens darin, dass die Raumplanung ihre Wurzeln im Städtebau hat und in diesem Raumtyp Landwirtschaft keine oder eine sehr untergeordnete Rolle spielte.
Im Moment ist der Verkauf von landwirtschaftlichen Flächen geschützt durch die Grundverkehrskommission, die aber in vielen Fällen nicht entsprechende Entscheidungen fällt. Man braucht offiziell eine einschlägige Ausbildung, aber das wirkt nicht. Wie kommt es dazu?
Ja, ich sehe das auch, dass Leute ohne Bezug zur Landwirtschaft diese Privilegierung der Bauernschaft umgehen können und an Gründe kommen, die ihnen nicht zustehen. Das geht aber erst dann, wenn die umliegenden Landwirt*innen nicht von ihrem gesetzlichen Vorkaufsrecht Gebrauch machen können oder wollen. Oft sind es große Firmen, die versuchen, ganze landwirtschaftliche Betriebseinheiten aufzukaufen. Dahinter steckt die Flucht in Immobiliarwerte, um der Volatilität der Finanzmärkte zu entkommen, aber auch steuerrechtliche Überlegungen stimulieren diese Intention. Ohne Ausbildung kann man legal über den Erbweg zu einer Landwirtschaft kommen.
Unsere Vision als Verein ist, wir wollen mehr und nicht weniger Bäuerinnen und Bauern. Teilen Sie diese?
Ja, unbedingt, ich teile sie. Ich halte es für eine Fehlentwicklung, dass große Einheiten die kleinstrukturierten Familienbetriebe ablösen. Die Grundidee der kleinteiligen Landwirtschaft ist eine sehr gute und offiziell wird sie auch gefördert, aber letztlich werden sie immer weniger. Die Agrarpolitik spricht von „landwirtschaftlichem Strukturwandel“ und hebt damit das fortgesetzte Höfesterben in den Status einer Art Naturgesetzlichkeit, statt die Gründe für diesen Niedergang interdisziplinär zu erforschen und fachübergreifend zu bekämpfen. Die Raumplanung hat da auch einen blinden Fleck. Von der Substanz kann man nicht ewig leben, wir müssen die landwirtschaftlichen Flächen mit allen rechtlichen Möglichkeiten schützen und uns als Gesellschaft mit Entschiedenheit für ihren Erhalt einsetzen.
Vielen herzlichen Dank für den spannenden Einblick in Ihr Fach und Ihre Erfahrung!
Ich danke für das fachübergreifende Gespräch und wünsche Ihrem Verein ein hohes Maß an Wirksamkeit!