Über das Spannungsfeld zwischen
Landwirtschaft & Naturschutz

Vor welchen Herausforderungen stehen wir aktuell, wenn wir über die Biodiversitätskrise sprechen? Welche Rolle nehmen hierbei die Land- und Forstwirtschaft und der Verlust von Höfen im Zuge des Agrarstrukturwandels ein? Diese und viele weitere Fragen haben wir Franz Essl, Professor am Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien gestellt.

Foto Credits: Vanessa Kaiser

Wir befinden uns zurzeit nicht nur in einer Klimakrise, sondern auch in einer Biodiversitätskrise. Wie sieht es hierzu in Österreich aus?

Die beiden Phänomene, Klimakrise und Biodiversitätskrise, sind die Spitze eines Eisbergs. Wir Menschen überschreiten global, aber auch in Österreich letztlich die planetaren Grenzen. Der Planet Erde ist endlich. Der Ressourcenbedarf, den wir weltweit verursachen, sprengt diese Grenzen mittlerweile sehr dramatisch.

Das führt einerseits zu einem Nachfrageproblem – wir haben einen hohen ökologischen oder biophysikalischen planetaren Fußabdruck als menschliche Spezies. Wir nehmen zum Beispiel sehr große Landflächen in Anspruch für unsere Ernährung. Wälder und andere Ökosysteme werden in Agrarflächen umgewandelt und das ist ein wesentlicher Teil der Biodiversitätskrise.

Auf der anderen Seite haben wir ein Abfallproblem. Unser Lebensstil ist mit einem hohen Energie- und Materialbedarf gekoppelt. Auf das Energieproblem bezogen ist unsere „Mülldeponie“ die Atmosphäre, die wir durch unsichtbare, aber hochwirksame Treibhausgase belasten.

Beides hat dieselbe Grundursache. Österreich ist ein kleines Land – wir haben aber sowohl bei der Klima- als auch bei der Biodiversitätsveränderung einen im Verhältnis gesehen sehr großen Fußabdruck. Der Biodiversitätsverlust ist wirklich gravierend und lässt sich zum Beispiel anhand der Insekten und der Vögel gut beobachten. Gerade bei den Brutvögeln gibt es gute Zahlen. Da weiß man, dass in 25 Jahren 48% aller Vogelpaare verschwunden sind.

Letztlich ist der Rückgang an Artenvielfalt ein Ausdruck der Destabilisierung unserer ökologischen Systeme, die wir für stabile Ernteerträge, aber beispielsweise auch für Hochwasser- und Lawinenschutz unbedingt brauchen.

Gibt es beim Rückgang der Artenvielfalt einen kritischen Punkt, ab dem unumkehrbare Auswirkungen in unseren Ökosystemen eintreten? Welche Auswirkungen sind das?

Die Biodiversität an sich ist sehr komplex, weil man letztlich mit Beziehungen zwischen tausenden von Arten zu tun hat. Allein in Österreich gibt’s mehr als 50 000 Arten. Daher kann man nicht sagen – ähnlich wie bei der Klima-Thematik – „bis dorthin und keinen Schritt weiter“. Aber je weiter wir uns von den derzeitigen Gegebenheiten entfernen, desto eher gibt es Rückkoppelungen, die wir nicht mehr kontrollieren bzw. rückgängig machen können.

Es geht hier nicht darum, einen Grenzwert zu definieren. Es geht vielmehr darum, sich einen anderen Umgang mit der Natur als gesellschaftspolitische Priorität anzueignen.

Welche Rolle spielt die Landwirtschaft bei den Themen Biodiversität und Artenvielfalt?

Landwirtschaft ist natürlich ein ganz zentraler Angelpunkt, wenn es um Biodiversität, aber auch um klimatische Entwicklungen geht. Die Landwirtschaft muss dabei einen dreifachen Spagat zwischen Ernährung, der Bewahrung intakter Ökosysteme und der Reduzierung von Treibhausgasemissionen schaffen.

Ja, es gibt ÖPUL und Agrarumweltprogramme, die wichtige und richtige Maßnahmen setzen, indem Ertragsverluste bzw. Mehraufwand abgegolten werden. Ich würde mir dabei aber nicht nur ein Abgelten, sondern ein Anreiz-System wünschen – und grundsätzlich ein stärkeres Umdenken in der Landwirtschaft in Richtung einer gleichrangigen Berücksichtigung aller dieser Standbeine.

Dabei sollte der Fokus meiner Meinung nach deutlich stärker auf kleineren bis mittleren Strukturen liegen. Je intensiver Landwirtschaft betrieben wird, desto größer sind die Auswirkungen auf die umgebenden Lebensräume – beispielsweise werden Flächen zusammengelegt und dadurch Landschaftsstrukturen unterbrochen, Feuchtgebiete werden entwässert, Emissionen entstehen durch unsachgemäße bzw. übermäßige Düngung, …

Gerade in Naturschutzgebieten kommt es recht häufig zum Konflikt zwischen Landwirtschaft und Naturschutz. Aus meiner Sicht wäre hier ein Umdenken wichtig – dieser Konflikt kann vielleicht nicht aufgelöst werden, aber eine Entschärfung wäre dann möglich, wenn Bewirtschaftung in gewissen Rahmenbedingungen ermöglicht und auch finanziell honoriert würde. Dann stellt Naturschutz nicht nur eine Einschränkung dar – sondern kann auch aus ökonomischer Sicht eine Chance bieten.

Bäuerinnen und Bauern sind dem Spannungsfeld zwischen Naturschutz und ökonomischen Überlegungen ausgesetzt, wie Sie es bereits angesprochen haben. Welche konkreten Maßnahmen können in der Landwirtschaft für die Biodiversitätsförderung getätigt werden?

Die Artenvielfalt ist in einer landwirtschaftlich genutzten Kulturlandschaft nicht gleichmäßig verteilt. Ein Großteil der Artenvielfalt findet sich oft in nur wenigen Prozent der Lebensräume, die nicht oder nur extensiv landwirtschaftlich genutzt werden. Im ÖPUL zählen beispielsweise Heckenzüge, Obstbaumreihen, wenig oder gar nicht gedüngte Böschungen, Feuchtwiesen und Blumenwiesen als sogenannte Landschaftselemente.

Ganz grundsätzlich bilden solche Strukturen das ökologische Rückgrat einer Kulturlandschaft. Viele Arten können in intensiv genutzten Ackerflächen bzw. Wiesen nicht dauerhaft leben. Die genannten Lebensräume sind Rückzugsräume für verschiedenste Arten, die unter anderem Bestäubung sichern.

Klar ist aber auch, dass es hierfür ein intaktes Netz solcher Lebensräume braucht. Das dient letztlich auch der Sicherung von Erträgen auf den gesamten Flächen. Dafür braucht es viel mehr Aufmerksamkeit und Wertschätzung.

Foto Credits: Vanessa Kaiser

Und wenn man nun in Richtung Agrarstrukturwandel blickt. Wir verlieren immer mehr Betriebe und die durchschnittliche Betriebsfläche vergrößert sich. Welche Auswirkungen hat das auf die Artenvielfalt?

Ein Grundthema ist die Erhaltung von kleinstrukturierter Landwirtschaft, die die Möglichkeit bietet, dass ökologisch wertvolle Naturschutzflächen und Landschaftselemente erhalten werden.

Zugleich ist diese Aussage vereinfachend. Grundsätzlich gibt es ein großes Spektrum in der Art und Weise, wie Landwirtschaft betrieben wird. Aber der Trend geht klar dahin, dass größere Betriebe natürlich mehr Fläche bewirtschaften und mit größeren Maschinen auch größere Schläge geschaffen werden, um eine entsprechende Nutzung zu ermöglichen. Dadurch verschwinden Landschaftselemente und dadurch zusammenhängende Lebensräume.

Und das ist ein Weg in eine Richtung, die sowohl längerfristig für bäuerliche Landwirtschaft als auch für die Artenvielfalt in einer Kulturlandschaft keine guten Perspektiven bietet.

Dennoch verwalden Flächen, wenn diese nicht mehr bewirtschaftet werden, und das hat einen negativen Einfluss auf die Artenvielfalt. Versteh ich das richtig?

Die massivsten Veränderungen bzw. Rückgänge von Arten erleben wir dort, wo traditionell extensiv genutzte Flächen genau in diesem Spagat stehen, dass sich diese extensive Nutzung nicht mehr ausreichend rentiert oder beispielsweise durch Förderungssysteme nicht ausreichend wertgeschätzt wird.

Dann gibt’s zwei Optionen. Die eine ist eine intensivere Flächennutzung – und damit einhergehend werden diese Flächen oft entwässert oder planiert. Die andere Option ist die Entlassung der Flächen aus der landwirtschaftlichen Nutzung. Diese Flächen verbuschen oder sie werden aufgeforstet. Und damit verschwinden die seltenen und wertvollen Lebensräume, das hat in der Regel auch einen Artenverlust zur Folge. Beide Varianten sind klar ein Problem in Bezug auf die Biodiversität.

Wir sind jetzt sehr stark auf die Landwirtschaft eingegangen. Welche Maßnahmen gibt es aus Ihrer Sicht außerhalb der Landwirtschaft, die zum Schutz der Biodiversität beitragen können?

In Österreich sind 70% der Landschaft durch Land- und Forstwirtschaft geprägt. Das ist der wesentliche Hebel in Bezug auf die Biodiversität. Zusätzlich haben aber auch die Ansprüche an die Landschaft massiv zugenommen.

Gerade in den tiefergelegenen Ballungsräumen haben wir einen massiven Flächenverbrauch mit rund 11 ha pro Tag, was mittlerweile schon recht breit diskutiert wird. In diesem Bereich positionieren sich auch einige NGOs. Dazu kommen andere Eingriffe in Ökosysteme wie beispielsweise Flussregulierungen.

Insgesamt stellt sich mir die Frage: Wenn jährlich rund 40 km² Fläche verbaut werden – wie lang kann das noch so weitergehen? Auch wenn diese Flächen nicht immer versiegelt werden, sind sie trotzdem nicht mehr anders nutzbar. So sehe ich Veränderungen in Bezug auf die Landnutzung als absolut notwendig. Diese ist – gesellschaftlich und global gesehen – unser Fundament!

Wie kann aus Ihrer Sicht sowohl in der breiten Bevölkerung als auch in der Landwirtschaft das Bewusstsein für die Bedeutung von Biodiversität erhöht werden?

Es wäre wünschenswert, wenn es mehr Auseinandersetzung zu den grundsätzlichen Fragen gibt – zum Beispiel: Wo soll sich die Landwirtschaft hinentwickeln? Ein Wirtschaften auf Kosten der Natur geht zulasten des Ökosystems und somit zulasten dauerhaft gesunder und stabiler Lebensmittel und Lebensräume.

Die Interessen von Großbetrieben sind klarerweise andere als die von kleineren Betrieben. Aber gerade von den Interessensvertretungen würde ich mir eine bewusste Auseinandersetzung mit den Biodiversitäts- und klimatischen Entwicklungen und eine entsprechende Positionierung erwarten.

Wichtig wäre es aus meiner Sicht, diese entsprechenden Erkenntnisse zu kommunizieren und schließlich auch umzusetzen.

Abschließend möchte ich gerne fragen, wie Sie in die Zukunft blicken. Was wünschen Sie sich in Bezug auf die Wertschätzung von Biodiversität und Landwirtschaft im Spannungsfeld zwischen Naturschutz und Ökonomie? Wie kann es gelingen, ein Miteinander zu schaffen?

Einerseits braucht es einen ehrlichen Austausch zwischen Naturschutz und Landwirtschaft, wo grundlegende Fragen auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse offen diskutiert werden. Dabei gibt es in den Bereichen Biodiversität und Klima sicherlich eine hohe Übereinstimmung zwischen den Interessen von bäuerlicher Landwirtschaft und Naturschutz.

Andererseits sehe ich verpflichtende und nachvollziehbare Standards als sehr wichtig an. Es gibt bereits verschiedene Programme und Gütesiegel, die Biodiversität fördern und beispielsweise strengere Tierhaltungsbedingungen festlegen. Doch die jeweiligen Inhalte und Vorschriften müssten meiner Meinung nach für den Konsumenten noch stärker sichtbar sein.

Generell sehe ich es kritisch, dass das in der Werbung vermittelte, romantisierte Bild der österreichischen Landwirtschaft sich immer weiter vom tatsächlichen landwirtschaftlichen Arbeitsalltag entfernt. Insgesamt wünsche ich mir diesbezüglich, dass die drei Säulen – Ernährung, die Bewahrung intakter Ökosysteme und eine nachhaltige Wirtschaftsweise – in der Landwirtschaft ehrlich diskutiert, umgesetzt und transportiert werden.

Vielen Dank für das spannende Gespräch!

Foto Credits: Perspektive Landwirtschaft

Weitere Infos

Assoz. Prof. Mag. Dr. Franz Essl beschäftigt sich am Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien mit Forschung zur Frage, welche Folgen der Klimawandel, sogenannte biologische Invasionen und die immer weitreichendere landwirtschaftliche
Nutzung von Flächen auf die Zukunft der Arten und unserer Gesellschaft haben. Darüber hinaus vermittelt er die Ergebnisse seiner Forschung einer breiten Öffentlichkeit und engagiert sich als Wissenschaftler politisch, etwa für den Klimaschutz. Für seine Arbeit und persönliches Engagement wählte ihn der Klub der Bildungs- und WissenschaftsjournalistInnen zum Wissenschafter des Jahres 2022.

Foto Credits: Walter Skokanitsch

Das Gespräch mit Franz Essl führte Vanessa Kaiser.