Gut genug für Landwirtschaft?
Nicht reich genug? Nicht männlich genug? Kein Bauernkind in fünfter Generation? Wer ist “gut genug” für Landwirtschaft? Unter gewissen Voraussetzungen ist der Einstieg in die Landwirtschaft schwierig, aber nicht unmöglich.
Es braucht viele Qualitäten und Fähigkeiten, eine Landwirtschaft gut zu führen. Was für die Qualifikation aber keine Rolle spielt, sind Herkunft, Geschlecht und Vermögen. Dennoch beeinflussen diese Faktoren sehr oft, wer einen Betrieb übernehmen kann und wer nicht. Der Verein Perspektive Landwirtschaft schafft Bewusstsein für die vorhandenen Hürden und fördert den Zugang zu Land für alle, die mit Hingabe und Freude Landwirtschaft betreiben wollen. Wir sind überzeugt, dass Einsteiger*innen die Innovationskraft der Landwirtschaft steigern und eine Bereicherung für den ländlichen Raum sind, genauso wie Bauerskinder, die in der Erbfolge leer ausgehen.
Eigentum ist männlich
Im Allgemeinen kaufen Frauen viel seltener Land als Männer und auch in der patrilinearen Erbfolge gehen sie öfter leer aus. Für weichende Erbinnen, deren Geschwisterteil den elterlichen Betrieb übernimmt, ist ein Einstieg in die Landwirtschaft schwierig. Dasselbe gilt für Frauen ohne familiären Bezug zur Landwirtschaft. Der landläufige Rat für Frauen lautet: “heiratest einen Bauern” – was natürlich eine Option darstellt, aber das grundsätzliche Problem auch nicht löst, dass Land viel öfter Männern als Frauen gehört.
Laut dem grünen Bericht 2019 befinden sich 79% der Betriebe im Eigentum von natürlichen Personen, 14% gehören Ehegemeinschaften und 7% juristischen Personen oder Personengemeinschaften. Leider gibt es keine Untersuchung über den Frauenanteil bei den natürlichen Personen – Schlüsse lassen sich aber aus der Betriebsführung ziehen: 32% der Betriebsleiter sind weiblich, im EU-Schnitt ein hoher Wert. Die Ursache dafür liegen in pensions- und steuerrechtlichen Vorteilen, was auch die Unterschiede im Alter der weiblichen Betriebsleiter nahelegen: Bei den unter 30-jährigen sind lediglich 23% Betriebsleiterinnen, während die Zahl bei den über 55-jährigen bei 47% liegt. Der hohe Anteil älterer Betriebsführerinnen dürfte darauf zurückzuführen sein, dass Frauen nach der Pensionierung des Mannes den Betrieb pachten oder übernehmen. Die Zahl der Betriebe, die sich nicht nur im Besitz, sondern tatsächlich im Eigentum von Frauen befinden, liegt wahrscheinlich deutlich darunter, ist aber nicht bekannt.
Der gleiche Zugang zu den ökonomischen Ressourcen ist ein wichtiger Schritt in Richtung Gleichstellung. So steht in den nachhaltigen Entwicklungszielen, Regierungen sollen bis 2030: „Reformen durchführen, um Frauen die gleichen Rechte auf wirtschaftliche Ressourcen sowie Zugang zu Grundeigentum und zur Verfügungsgewalt über Grund und Boden und sonstige Vermögensformen, zu Finanzdienstleistungen, Erbschaften und natürlichen Ressourcen zu verschaffen, im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften.“ (SDG 5.a) Mitbestimmen zu können sollte keine Gnade sein, sondern ein Recht.
Über die außerfamiliäre Hofübergabe bekommen Frauen eine Möglichkeit, in die Landwirtschaft einzusteigen und nicht nur am Papier Betriebsleiterin zu sein, sondern auch Eigentümerin an den Betriebsmitteln, an Grund und Boden zu werden. Dazu braucht es viel Bewusstseins- und Überzeugungsarbeit, der Einstieg in die Landwirtschaft ist für Frauen auch außerfamiliär herausfordernd.
Die einzige Konstante ist die Veränderung
In unseren Gesprächen mit Landwirten und Landwirtinnen sind Vorstellungen über die, die einen Hof suchen, oft Thema. Es gibt Bedingungen und Vorstellungen, die unverrückbar sein sollen, „da fährt die Eisenbahn drüber“ und andere, bei denen Flexibilität hilfreicher ist. So ist es durchaus nachvollziehbar, dass ein Facharbeiterbrief und Erfahrung im Melken für den einen Betrieb Grundvoraussetzung ist – für einen anderen Betrieb spielen diese Kriterien vielleicht eine untergeordnete Rolle. Diese Kriterien für sich zu definieren und zu überlegen, in welchem Bereich man von alten Denkmustern abrücken kann, das ist Teil der Suche nach der passenden Hofnachfolge.
Wir führen auch oft die Diskussion zum Umstieg von Milchviehhaltung auf Ziegen oder Schafe, oder der Umstieg auf Direktvermarktung, Green Care usw. Alles, was neu und ungewohnt ist, ist in einem Dorf ein größeres Risiko als in der Stadt, weil die soziale Kontrolle höher ist. Scheitern ist einfacher, wenn niemand über einen lästert und das verspricht die Anonymität der Stadt. Das mag ein Grund sein, dass es Innovationen in der Landwirtschaft manchmal schwer haben, weil man unter dem ständigen Druck handelt, mit dem Strom zu schwimmen. Bei den vielen Vorteilen des Lebens am Land ist das eine der Herausforderungen und vielleicht auch der Ursachen, warum sich unsere Hofübernehmenden manchmal schwer tun mit neuen Ideen für den Betrieb. Einerseits braucht es das Verständnis für die Altbäuerin und den Altbauer am Betrieb, andererseits schadet es auch nicht, sich mit neuen Ideen zu konfrontieren. Dies versuchen wir nicht nur in unseren Gesprächen, sondern auch im Veranstaltungsformat „Online Stammtisch – neue Perspektiven für die Landwirtschaft“, wo unsere Referent*innen Impulse geben können über Nischen, Hofübernahmen und neue Ideen.
Tief verankert sind auch Vorstellungen über Menschen, die nicht aus Österreich kommen, das beginnt nicht erst bei einer Herkunft aus dem nahen Osten oder Afrika, sondern schon aus Deutschland. Dass einem das Bekannte vertraut und das Fremde suspekt ist, ist zunächst ein menschliches Muster, die Welt einzuordnen. Sich hin und wieder von alten Denkmustern zu befreien und Schubladen zu hinterfragen, hält jung und neugierig. Es wäre schade, deswegen die perfekte Hofnachfolge oder die Liebe des Lebens zu verpassen. Wir sehen unsere Rolle als neutraler sparring partner, mit dem Mögliches und Unmögliches besprochen werden und ein gangbarer Weg ausgelotet werden kann. Durch Begegnungen zwischen jenen, die einen Hof suchen und jenen, die eine Hofübergabe planen, bekommt man Einblicke in andere Lebenswelten. Diese Erfahrungen schärfen das eigene Suchprofil, man lernt, was man will und was eher nicht.
Ob ein Paar verheiratet, gleichgeschlechtlich, kinderreich oder kinderlos ist, ob eine Person aus Österreich oder sonst woher kommt, ledig, geschieden, verheiratet, alt oder jung ist, sagt wenig über ihre Fähigkeit aus, einen Betrieb erfolgreich zu führen. Freude am Beruf, Geschick und Motivation, Wille und Bereitschaft zum Lernen, ein gutes menschliches Miteinander sind das, was am Ende zählt. Wir freuen uns, diesen Menschen einen Ort der Begegnung bieten zu können.