Die außerfamiliäre Hofübergabe als neues Phänomen? Der Landwirtschafshistoriker Ernst Langthaler über Kontinuität und Kurioses rund um den Generationswechsel

 

Der Generationswechsel in der Landwirtschaft ist ein Prozess, der sich im Laufe der Jahrhunderte stark verändert hat. Ernst Langthaler, Wirtschafts- und Sozialhistoriker mit den Schwerpunkten Landwirtschaft und Ernährung, bietet in einem Interview Einblicke in die historischen Entwicklungen und die vielfältigen Herausforderungen der Hofübergabe. Wie haben die Rolle der Familie, Traditionen und wirtschaftliche Umstände diesen Prozess in den letzten 300 Jahren geprägt?

Heuernte in Ruhpolding © Georg Eisenberger, Traunstein

Heuernte in Ruhpolding © Georg Eisenberger, Traunstein

 

Perspektive Landwirtschaft: Herr Langthaler, die Übergabe eines Hofes an einen Sohn scheint heute rückblickend die Norm gewesen zu sein. Können Sie da bitte etwas Licht ins Dunkel bringen und mit uns einen Blick auf die historische Entwicklung des Generationswechsel in der Landwirtschaft werfen?

 

Ernst Langthaler: Historisch gesehen war die Landwirtschaft in Österreich über die letzten 200 bis 300 Jahre stark auf Familienstrukturen aufgebaut. Ein landwirtschaftlicher Betrieb wurde traditionell von einem Arbeitspaar geführt, meist einem Ehepaar, das den Hof gemeinsam bewirtschaftete. Diese enge Verbindung zwischen Familie und Betrieb war eine zentrale Säule der landwirtschaftlichen Produktion. Der Betrieb war auf die Arbeitskraft der Familienmitglieder angewiesen, und je nach Lebensphase des Ehepaares variierte die Zusammensetzung der Arbeitskräfte.

In der vorindustriellen Landwirtschaft des 18. und 19. Jahrhunderts spielte die Arbeitskraft eine entscheidende Rolle. Familienmitglieder, insbesondere Kinder, wurden als Arbeitskräfte in den Betrieb integriert, sobald sie alt genug waren, produktive Arbeit zu leisten. Die Familienwirtschaft funktionierte in dieser Phase, in denen arbeitsfähige Nachkommen am Hof lebten, meist ohne zusätzliche Arbeitskräfte. Außerfamiliäre Arbeitskräfte wie Mägde und Knechte wurden hinzugezogen, wenn die eigenen Kinder noch zu jung oder bereits aus dem Haus waren. Diese Arbeitskräfte lebten und arbeiteten auf dem Hof und waren zudem auch oft in den Haushalt integriert. Der Zyklus der Arbeitskräfte auf einem Hof war also stark von der Lebensphase des Ehepaares und der Verfügbarkeit von Familienarbeitskräften abhängig.

Es ist im 19. Jahrhundert nicht selten vorgekommen, dass ein älteres Bauernpaar keine Kinder hatte und den Hof an ein fremdes Paar übergeben hat und mit einer Art Leibrenten-Versorgung am Hof bleiben konnte. Die außerfamiliäre Hofübergabe ist also historisch gesehen alles andere als exotisch. Die Arbeitsstrukturen variierten je nach Region und Art der Landwirtschaft. In den alpinen Viehwirtschaftsregionen waren ganzjährige Arbeitskräfte häufiger, während in den Ackerbaugebieten des Flach- und Hügellandes eher saisonale Arbeitskräfte zum Einsatz kamen. In Regionen mit intensiver Viehhaltung war die ganzjährige Beschäftigung von Mägden und Knechten häufiger, da die Tierpflege kontinuierliche Arbeit erforderte. In Ackerbauregionen hingegen war die Arbeit saisonabhängig, und es wurden eher Tagelöhner und Saisonarbeitskräfte eingestellt, die nur für bestimmte Arbeitsphasen benötigt wurden.

„Die Außerfamiliäre Hofübergabe ist historisch gesehen alles andere als exotisch. Es ist im 19 Jhdt nicht selten vorgekommen, dass ein älteres Bauernpaar keine Kinder hat und den Hof an ein fremdes Paar übergeben hat und mit einer Art Leibrenten-Versorgung am Hof bleiben konnte.“

Ernst Langthaler

Perspektive Landwirtschaft: Wie war die soziale Stellung von Ehepartnern, die in einen Hof eingeheiratet haben?

 

Ernst Langthaler: Das Einheiraten und Mitbesitzen eines Hofes war in dieser Gesellschaft eine prestigeträchtige Position. Die restliche Bevölkerung verdingte sich als Tagelöhner oder Dienstboten, daher war das oft ein Aufstieg. Eine interessante Beobachtung ist, dass die Hofnachfolge in der vorindustriellen Gesellschaft weniger problematisch war als heute. Das Einheiraten in einen Hof galt als prestigeträchtig, und es war üblich, dass verwitwete Bauern oder Bäuerinnen erneut heirateten, um den Betrieb weiterzuführen.

Erst seit 1848 ist Boden Privatbesitz, zuvor war Boden im Obereigentum der Grundherrschaft. Deren Untertanen, die die Gründe bewirtschafteten, konnten die Gründe zwar vererben an ihre Kinder, aber sie waren eben nicht Eigentümer. Vor der Grundentlastung war der Boden im Obereigentum der Grundherrschaft, meist kirchlicher oder adliger Natur, und die Bauern bewirtschafteten die Gründe als Untertanen. Sie konnten das Land vererben, aber nicht verkaufen.

Das Einheiraten und Mitbesitzen eines Hofes war in dieser Gesellschaft eine prestigeträchtige Position. Die restliche Bevölkerung verdingte sich als Tagelöhner oder Dienstboten

Ernst Langthaler

Perspektive Landwirtschaft: Es gibt in mehreren Bundsländern eine Erbhofplakette, die Höfen in langem Familienbesitz verliehen wird. Eine solche Auszeichnung kann etwas schönes sein, wenn man weiß, wie viele Generationen vor einem schon hier gewirtschaftet haben, aber auch eine Bürde, wenn es keine Nachfolge gibt. Wie hat sich die Idee des Erbhofs eigentlich entwickelt? 

Ernst Langthaler: Die Idee des Erbhofs, bei dem ein Hof über Generationen in der gleichen Familie bleibt, ist eine Erfindung des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Besonders im Nationalsozialismus spielte der “Erbhof” eine bedeutende Rolle. Das Reichserbhofgesetz von 1933 legte strikte Regeln für Hofbesitzer und die Hofübergabe fest, wobei nur Angehörige des “deutschen Volkes” zugelassen und männliche Nachfolger bevorzugt wurden. Diese rassistische und frauenfeindliche Ideologie führte zu erheblichen Konflikten und rechtlichen Auseinandersetzungen innerhalb der bäuerlichen Gemeinschaften.

Das Reichserbhofgesetz hatte weitreichende Auswirkungen auf die bäuerlichen Familienstrukturen und die Hofübergabe. Es besagte, dass bevorzugt männliche Angehörige den Hof erben sollten, was zu erheblichen Benachteiligungen von Frauen führte. Die Gütergemeinschaft, die insbesondere in Niederösterreich vorherrschte, wurde durch das Gesetz abgeschafft, und die Nachfolge wurde strikt geregelt. Dies führte dazu, dass in vielen Fällen Neffen Vorrang vor Töchtern des Erblassers hatten, was zu erheblichen familiären Spannungen und rechtlichen Auseinandersetzungen führte.

Trotz der strikten Regeln des Gesetzes gab es aber viele Verfahren, in denen Familien versuchten, Ausnahmen zu erwirken, damit Töchter den Hof übernehmen konnten. Die Gerichtsbarkeit zeigte sich trotz der strengen Gesetze in der Auslegung oft flexibel, insbesondere wenn es für die Kriegswirtschaft wichtig war, dass die Höfe gut bewirtschaftet wurden. In solchen Fällen konnten Töchter den Hof erben, wenn männliche Erben nicht vorhanden oder geeignet waren.

Zu dieser Zeit war auch zu beobachten, dass die Begriffe “Bauer” und “Landwirt” als gegensätzliches Begriffspaar mit ideologischem Gehalt aufgeladen wurden. Ein Bauer galt als positive Figur, die das Rückgrat des “deutschen Volkes” bildete und Tradition verkörperte. Landwirte jedoch wurden als gewinnorientierte Unternehmer angesehen und eher negativ betrachtet. Ab Mitte des 20. Jahrhunderts wurde die Bedeutung dieser beiden Begriffe wieder umgelagert. In der Zeit der Agrarindustrialisierung galt der Bauer eher als der “Rückständige” und ein Landwirt wurde als Unternehmer gesehen, der seinen Betrieb stetig auf den neuesten Stand gebracht hat.

 

 

Perspektive Landwirtschaft: Das Einheiraten oder Übernehmen eines Hofes war also lange Zeit sehr attraktiv und prestigeträchtig in einer Gesellschaft. Heute ist es für viele Betriebe schwierig, eine Nachfolge zu finden. Wie und warum hat sich der soziale Status von Landwirt*innen verändert?

Ernst Langthaler: Im Laufe des 20. Jahrhundert verlor die Landwirtschaft an wirtschaftlicher Dominanz und die Einkommensschere zwischen landwirtschaftlichen und nicht-landwirtschaftlichen Berufen wuchs. Die Landwirtschaft wurde zunehmend in vor- und nachgelagerte Industrien eingebunden, was zu einer Verschiebung der Wertschöpfung führte. Bauern wurden immer mehr zu einem Teil einer Agrarindustrie, was ihre wirtschaftliche Lage verschlechterte.

Früher erzeugten die Bauern die meisten Produktionsmittel selbst: Arbeitskräfte kamen aus der Familie, Tiere wurden auf dem Hof aufgezogen und Saatgut wurde selbst produziert. Alles, was am Hof produziert wurde, wurde auch selbst verarbeitet. Die Bauern und Bäuerinnen hatten also die gesamte Wertschöpfungskette in der Hand. Im 20. Jahrhundert änderte sich dies grundlegend. Bauern mussten immer mehr Maschinen, Chemikalien und andere Produktionsmittel zukaufen, während ihre Erzeugnisse oft nur als Rohstoffe weiterverkauft wurden. Diese Struktur führte dazu, dass die Wertschöpfung zunehmend in die vor- und nachgelagerten Industrien abwanderte, die von großen gewinnorientierten Unternehmen dominiert wurden.

Die Landwirtschaft wurde so Teil einer umfassenden Agrarindustrie, und die Bauern befanden sich in einer “Sandwich-Position” zwischen den großen Unternehmen. Während wachstumsorientierte Mittel- und Großbetriebe ihre Position behaupteten, nahmen für viele Klein- und Mittelbetriebe die wirtschaftlichen Anreize, in der Landwirtschaft zu bleiben, ab, da die Einkommen relativ gering blieben, während der Arbeitseinsatz hoch war.

 

Perspektive Landwirtschaft: Wie blicken Sie als Historiker auf die derzeitigen Bauernprotesten und warum brechen diese gerade jetzt aus?

Ernst Langthaler: Die aktuellen Proteste der Landwirte haben ihren Ursprung in einem historischen Deal, der nach dem Zweiten Weltkrieg zwischen dem Wohlfahrtsstaat und den Bauernverbänden geschlossen wurde. Damals wurden die Landwirte dazu angehalten, billige Lebensmittel für die wachsende Industriegesellschaft zu produzieren, was der Staat durch Preisstützungen und Förderungen ermöglichte. Diese Unterstützung half den Bauern, auf industrielle Technologien wie Kunstdünger und Traktoren umzusteigen, was zur Agrarindustrialisierung führte. Diese war sozialpolitisch motiviert, doch heute zeigt sich, dass sie an ihre ökologischen Grenzen stößt.

Der Staat fordert nun eine Neuausrichtung hin zu umweltfreundlicheren Praktiken, was viele Landwirte als Bedrohung empfinden. Insbesondere, da die Grünen in der Politik immer mehr Einfluss gewinnen und Agrarministerien übernehmen, fühlen sich die Landwirte in ihrer materiellen Existenz und ihrer Identität herausgefordert. Sie protestieren daher nicht nur gegen die drohenden finanziellen Einschnitte, sondern kämpfen auch um Anerkennung und Geltung in der Gesellschaft.

Die Landwirte stellen sich die Frage, ob sie noch als geschätzte Mitglieder der Gesellschaft angesehen werden oder ob ihre Existenzgrundlage infrage gestellt wird. Gleichzeitig fordern sie von der Politik, einen institutionellen Rahmen für einen sozialverträglichen Übergang zu einem nachhaltigeren Agrarsystem zu schaffen, da sie der Meinung sind, dass die Verantwortung für eine solche Wende nicht allein bei den Konsumenten liegen kann. Diese Unsicherheit und das Gefühl, im Wandel allein gelassen zu werden, treibt viele Landwirte auf die Straße, um ihre Stimme zu erheben.

Perspektive Landwirtschaft: Was bedeuten diese Entwicklungen für die Zukunft der Landwirtschaft?
Erst seit 1848  ist Boden Privatbesitz, zuvor war Boden im Obereigentum der Grundherrschaft. Deren Untertanen, die die Gründe bewirtschafteten, konnten die Gründe war vererben an ihre Kinder, aber sie waren eben nicht Eigentümer.

Ernst Langthaler

Ernst Langthaler: Moderne Herausforderungen sehen den Einstieg in die Landwirtschaft weniger von ökonomischen Anreizen geprägt, sondern mehr von der Lebensform und dem Wunsch, mit der Natur zu arbeiten. Nebenerwerbslandwirtschaft, Diversifizierung, gesteigerte Wertschöpfung entlang der ganzen Kette und staatliche Förderungen spielen eine wichtige Rolle, um den Strukturwandel sozial verträglich zu gestalten. Im internationalen Vergleich zeigt sich, dass der Strukturwandel in Ländern wie den Niederlanden radikaler und schneller verlief, während in Österreich durch frühzeitige Förderungen die sozialen Auswirkungen gemildert wurden, dennoch sind sind Landwirt*innen auch hierzulande eine schrupfende Gruppe in der Gesellschaft.

Zusammengefasst zeigt der historische Blick, dass die idealisierte Verbindung von Landwirtschaft und Familienbetrieben erst im 20. Jahrhundert entstand und von politischen Interessen des Staates und wirtschaftlichen Interessen der Agrarindustrie gefördert wurde.

 

 

Perspektive Landwirtschaft: Vielen Dank, Herr Langthaler, für diese umfassenden Einblicke in die historischen Entwicklungen der Hofübergabe und die Herausforderungen, die damit verbunden sind.

 

Weitere Infos

Univ.-Prof. Mag. Dr. Ernst Langthaler ist Professor für Sozial-und Wirtschaftsgeschichte an der Johannes Kepler Universität Linz, Institutsvorstand des Instituts für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der JKU Linz und Lehrbeauftragter des Instituts für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien.

Foto: © Wolfgang Kunerth

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Im Kampf um ihre Rechte. Geschichte der Bauern und Bäuerinnen in Österreich. Krammer, Josef; Rohrmoser, Franz, erschienen im Promedia Verlag 2012