Buchtipp: Über den leisen Abschied vom bäuerlichen Leben

Das Buch “Ein Hof und elf Geschwister” von Ewald Frie bietet eine tiefgründige und persönliche Betrachtung des Wandels in der bäuerlichen Landwirtschaft Deutschlands während des 20. Jahrhunderts. Es erzählt die Geschichte des Frie-Hofes und beleuchtet dabei die Erfahrungen und Entscheidungen von elf Geschwistern, die in den 1950er und 1960er Jahren aufwuchsen.

Foto Credits: Ewald Frie

Einblick in den Wandel der bäuerlichen Landwirtschaft und der Hofübergabe

Ein zentrales Thema des Buches ist die Hofübergabe, die als Angelpunkt aller Generationenprobleme beschrieben wird. Traditionell war es selbstverständlich, dass die Nachfahren den Hof übernehmen und als Bauern weiter bewirtschaften. Doch im Verlauf der Jahrzehnte änderten sich diese Erwartungen. Heute entscheiden die Kinder selbst, ob sie den Beruf des Bauern ergreifen möchten oder nicht, wobei sie den Hof unabhängig von ihrer Entscheidung erhalten. Dieses Phänomen der vollständigen Verfügungsgewalt über den Hof ist relativ neu und stellt einen bedeutenden Wandel dar.

Ewald Frie geht akribisch auf die historischen Hofübergabe-Verträge seiner Vorfahren ein, die bis in die frühen 1830er Jahre zurückreichen. Dabei wird deutlich, wie wichtig die Aussteuer für die weichenden Erb*innen war. Mit dem Wirtschaftsboom der 1970er Jahre und den damit einhergehenden Sozialleistungen veränderte sich die wirtschaftliche Grundlage der landwirtschaftlichen Familien grundlegend. Die öffentliche Unterstützung zielte darauf ab, die Lebensverhältnisse von Stadt und Land anzugleichen, was die Errichtung eines Altenteilerhauses durch die Eltern von Ewald Frie verdeutlicht.

Der Übergang von der Familienarbeit zur Einmann-Wirtschaft

Ein besonders eindrucksvolles Beispiel für den Wandel in der Landwirtschaft ist die Umstellung des Rinderzuchtbetriebs auf einen Einmann-Betrieb durch Erwins Bruder. Während früher die Arbeit vieler Hände benötigt wurde, setzte er auf Schweinezucht und Ferkelzucht, wodurch der Betrieb zunehmend unabhängig von der Mithilfe der Geschwister wurde. Diese Entwicklung symbolisiert den Übergang von einer gemeinschaftlichen bäuerlichen Arbeit hin zu spezialisierten, effizienteren Betriebsformen.

Frie beschreibt anschaulich, wie die Geschwister nach und nach weniger in der Landwirtschaft arbeiteten und sich neuen Berufen jenseits der bäuerlichen Welt zuwandten. Diese Veränderung spiegelt den allgemeinen gesellschaftlichen Wandel wider, der durch die katholische Kirche und den Sozialstaat unterstützt wurde. Die Jugendarbeit der Kirche und die Ausbildungsförderungen des Staates öffneten den Kindern neue Wege und Möglichkeiten abseits der traditionellen Landwirtschaft.

Die stolze bäuerliche Landwirtschaft der Fünfzigerjahre, geprägt von harter Arbeit und Selbstversorgung, verschwand also im Laufe der Sechzigerjahre fast unmerklich. Frie erzählt anhand seiner Familie von dieser großen Zäsur und zeigt, wie die Welt seiner Eltern unterging und die Geschwister andere Lebensentwürfe wählten. Mit viel Einfühlungsvermögen und anhand von konkreten Beispielen veranschaulicht er den stillen, aber tiefgreifenden Wandel, der die ländliche Gesellschaft erfasste.

Fazit

“Ein Hof und elf Geschwister” ist eine bewegende und gut recherchierte Erzählung über den Wandel der bäuerlichen Landwirtschaft in Deutschland. Ewald Frie gelingt es, historische Fakten und persönliche Geschichten zu einem lebendigen Bild zusammenzufügen. Das Buch ist nicht nur eine Hommage an die bäuerliche Welt vergangener Zeiten, sondern auch ein wichtiger Beitrag zum Verständnis des gesellschaftlichen Wandels und der Herausforderungen des Generationswechsels in der Landwirtschaft. Für Leser*innen, die sich für Geschichte, Landwirtschaft und soziale Entwicklungen interessieren, ist dieses Buch eine wertvolle und bereichernde Lektüre.

Weitere Infos

Frie, Ewald: Ein Hof und elf Geschwister. Der stille Abschied vom bäuerlichen Leben in Deutschland. C.H. Beck Verlag