Wie neue Commons schaffen?
Gemeinschaftliche Hoffinanzierung und Eigentumsformen
Der Raub an den Commons
Solange Menschen die lebensnotwendigen Güter für sich selbst von ihrem Boden erwirtschafteten und kaum von Märkten abhängig waren, war Boden das wichtigste Produktionsmittel überhaupt. Mit den Einhegungen im 16. und 17. Jahrhunderts, der Vertreibung der Bäuerinnen und Bauern von ihrem Land und der Zerstörung der Gemeingüter wurde die Grundlage für die moderne kapitalistische Gesellschaft geschaffen. Das Wort “privare” kommt nicht umsonst von “rauben”. Dadurch wurden die Produzierenden von den Produktionsmitteln getrennt, die fortan zum Verkauf ihrer Arbeitskraft gezwungen waren und die Eigentümer an den Produktionsmitteln reich machten. Karl Marx (+1883) nannte diesen Prozess die “ursprüngliche Akkumulation”.
Die Entstehung des Kapitalismus und das Verschwinden der Commons, der Gemeingüter, waren nicht das Ergebnis einer evolutionären Entwicklung, sie waren nicht ein sanfter Übergang, sondern die Antwort der Mächtigen, der Feudalherren, der Bischöfe und Päpste auf einen jahrhundertelangen sozialen Konflikt. “Der Kapitalismus war eine Konterrevolution, die die aus dem antifeudalen Kampf hervorgegangenen Möglichkeiten zerstörte: Möglichkeiten, die uns, wenn sie verwirklicht worden wären, jene ungeheure Vernichtung menschlichen Lebens und der natürlichen Umwelt erspart hätten, die den Vormarsch kapitalistischer Verhältnisse auf der ganzen Welt gekennzeichnet hat”, schreibt die Historikerin Silvia Federici (2012: 26, 138)
Welche Möglichkeiten meint Silvia Federici? Eine Möglichkeit wäre es gewesen, über Ressourcen gemeinsam zu entscheiden. In der Tradition des gemeinschaftlichen Eigentums hätte über Förderung und Verbrauch von fossiler Energie, über Versiegelung von Boden diskutiert werden können. Diese Entscheidungen wurden durch die Fokussierung auf Privateigentum der “unsichtbaren Hand des Marktes” überlassen. Wenige wurden sehr reich und haben kein Problem, Land zu kaufen. Sie tun es auch, Land ist ein beliebtes Anlageobjekt, billig in der Erhaltung, mit guten Prognosen auf Wertsteigerung, weil Land endlich ist und der Verbrauch steigt. Die Schere zwischen den Bodenpreisen und dem landwirtschaftlichen Ertragswert geht weit auseinander.
Land kaufen – aber wie?
Land kaufen, um Landwirtschaft zu betreiben für Normalos – geht das noch? Wer das Geld nicht von Haus aus hat und den Kauf durch die Einnahmen als Landwirt*in finanzieren will, hat es schwer. Dennoch kann man Landwirtschaft betreiben: Pachten, außerfamiliär zu günstigeren Konditionen übernehmen und dafür mit Altäuerin/bauer auskommen, als Angestellte*r einen größeren Betrieb bewirtschaften, einen Hof als Gemeingut mit anderen betreiben oder sogar gemeinsam kaufen. Wir betrachten im Folgenden zwei Beispiele für letztere Option.
1.) Die Miteigentumsgemeinschaft der Munus Stiftung
Die gemeinnützige „Munus Stiftung – Boden für gutes Leben“ ist eine Gemeinschaft von Menschen, die Eigentum oder Geld einem solidarischen, ökologischen und emanzipatorischen Zweck widmen oder in diesem Sinne nutzen wollen. Ziel war es, Eigentum endgültig und personenunabhängig für gemeinnützige Zwecke zu sichern. Die Rechtsform „gemeinnützige Bundesstiftung“ ist gut geeignet, um bestehendes Vermögen, Gebäude oder Land langfristig abzusichern. Einmal gestiftet, bleibt es in der Stiftung und muss solidarisch und ökologisch genutzt werden, sprich die Stiftung verpachtet es an Nutzungsgemeinschaften. Es gibt derzeit vier Projekte, davon zwei solidarische Landwirtschaften nahe Wien, ein Bauernhof nahe Linz, sowie eine Wohnung in Wien, die von der Wohnungslosenhilfe neunerimmo genutzt wird. Die Stiftung hat aber kein flüssiges Kapital und kann nicht einfach Land kaufen. Es ergaben sich dennoch bereits zweimal gute Gelegenheiten, kleinere Flächen, die an bestehende Stiftungsflächen der Nutzungsgemeinschaft „Gela Ochsenherz“ in Gänserndorf in Niederösterreich angrenzen, zu kaufen. Woher sollte das Geld dafür kommen?
Nach einem Aufruf meldeten sich genügend Leute, die bereit waren, Geld für den Kauf zur Verfügung zu stellen bzw. zum kleineren Teil der Stiftung zu spenden. Mit den Spenden konnte die Stiftung anteilige „Anker“Käuferin der Flächen werden. Ankerkäuferin, da in Österreich nicht jede Person landwirtschaftliche Flächen kaufen kann, sondern die Grundverehrskommission über Käufe von Agrarflächen entscheidet. Da die Munus Stiftung aber bereits derartige Flächen besitzt, ist ein Kauf weiterer Flächen deutlich einfacher.
Die Munus Stiftung konnte so gemeinsam mit den anderen Geldgeber*innen (beim ersten Kauf 9, beim zweiten 11) die Flächen gemeinschaftlich kaufen. Alle Käufer*innen sind dabei mit ihrem jeweiligen Anteil im Grundbuch eingetragen. Zugleich verplfichten sich die Käufer*innen, der Stiftung ihre Anteile langfristig (beim ersten Kauf 20 Jahre, beim zweiten 30 Jahre) zu verpachten. So hat die Stiftung die vertraglich abgesicherte Verfügungsgewalt über die beiden Äcker und kann diese gemäß ihrer Ziele an die Nutzer*innengemeinschaft weiter verpachten. Darüber hinaus hat die Munus Stiftung ein Vorkaufsrecht für den Erwerb der Anteile der Käufer*innengemeinschaft zum Erstehungspreis plus Inflation. Einer aktuell üblichen Bodenspekulation über die Inflationsrate hinaus sind damit Grenzen gesetzt.
2.) Vermögenspool am Beispiel Dorfschmiede – Gutensteinerhof
Für den Kauf und den Ausbau des Gutensteiner Hofs in Niederösterreich hat sich das Team rund um Theresa Mai vom Tinyhouse-Unternehmen Wohnwagon für ein gemeinschaftliches Finanzierungskonzept entschieden. Für das Projekt „Dorfschmiede“ Gutensteiner Hof wurde ein Vermögenspool über 900.000 Euro eröffnet. Menschen, die gerne ihr Geld in reale Werte anlegen möchten, aber nicht genug haben, um gleich eine ganze Liegenschaft zu erwerben, können mit einem Betrag zwischen 3.000 € und 50.000 € teilhaben. Durch den Vermögenspool wird ein Immobilienprojekt gemeinschaftlich finanziert, der/die Käufer*in steht aber nicht im Grundbuch. Die Auszahlung aus dem Pool erfolgt durch den Treuhänder immer erst nach erfolgreichem Abschluss einer Bauphase. So steht der Einlage immer ein realer Wert gegenüber. Nach einem Jahr kann das Geld inflationsbereinigt wieder entnommen werden. Wird ein Platz im Pool frei, kann jemand anderer einsteigen. Eine Liquiditätsreserve von 10 % stellt sicher, dass der Pool immer im Fluss bleiben kann.
Mittlerweile steht schon ein neues Projekt am Start: eine Frühstückspension. Die Genossenschaft wird für den Ankauf wieder einen Vermögenspool aufmachen und dann die Pension betreiben. Aufgrund der steigenden Inflation wird in diesem Falle für die Investor*innen eine gedeckelte Verzinsung vorgeschlagen. Die Rückzahlung sei zwar nicht gefährdet, weil mit dem Anstieg der Inflation auch der Wert der Immobilie steigt, aber der hohe Zinsaufwand schmälert die Bilanz, das müsse berücksichtigt werden. Fazit: Der buchhalterische Aufwand ist groß, aber der Vermögenspool sei ein geeignetes Instrument, um mit vielen Leuten gemeinsam eine Immobilie zu finanzieren, so Theresa Mai. In der Finanzierung bietet die Genossenschaft gute Möglichkeiten für unterschiedliche Stakeholder sich zu beteiligen (zB GründerInnen, ProduzentInnen, KonsumentInnen) und damit das Projekt auf gesunde Beine zu stellen. So wie bei jedem Betrieb ist auch bei einer Genossenschaft eine ordentliche Finanzgebarung notwendig, die Genossenschaft bietet hier für ihre Mitglieder den Vorteil, dass durch eine externe verpflichtende Revision alle zwei Jahre eventuelle Mängel oder Gefahren aufgezeigt werden, berichtet Andreas Egger, Gründer der Milchkandl Genossenschaft und Vorstandsmitglied im Revisionsverband Rückenwind. Die Regionalwert-AG wiederum hat die Aufgabe, all diese Initiativen und Betriebe unterschiedlichster Art entlang der Lebensmittel-Wertschöpfungskette zu unterstützen und zu vernetzen, untereinander aber auch in Bezug auf den Verkauf ihrer Produkte.
Commoning – Gemeinsames Tun lernen
“Jeden Tag stehen wir auf und machen Kapitalismus. Warum machen wir nicht mal was anderes?”
David Graeber, Kulturanthropologe und Publizist (+2020)
Die Theorie des uneingeschränkten persönlichen Eigentums als Pfeiler der Kapitalistischen Marktwirtschaft besagt, dass Gemeineigentum nicht funktioniert. Häufig wird als Argument gegen Gemeingüter und lange Pachtverträge ins Feld geführt, dass Menschen nur mit ihrem Privateigentum achtsam umgehen. “Tragik der Allmende” nennt sich die vom US-amerikanischen Mikrobiologen und Ökologen Garret Hardin (+ 2003) postulierte Theorie: Wer Ressourcen nutzt, die sich nicht in dessen Privateigentum befinden, hätte kein Interesse daran, sie langfristig zu pflegen und würde sie übernutzen und verlottern lassen. So würden Seen überfischt und Wiesen überweidet werden und nur die Privatisierung könne Abhilfe schaffen. Es reicht aber ein Blick auf die Ressourcen um uns herum, um zu erkennen, dass die Fokussierung auf Privateigentum in den letzten Jahrzehnten unsere Umwelt nicht geschützt hat, sondern im Gegenteil zu Übernutzung, Ausbeutung und Zerstörung geführt hat.
Wie können wir lernen, verantwortungsbewusst mit unserem Eigentum umzugehen, egal ob privat oder gemeinschaftlich? Wie kann es gelingen, dass die Nutzer*innen eines Gemeingutes dieses hegen und pflegen, auch wenn sie selbst oder ihre Nachfahren nicht direkt davon profitieren? Setzt man auf intrinsische Motivation, Ethik, moralisches Handeln der Beteiligten, die sich als Teil eines größeren Ganzen für dieses verantwortlich fühlen? Oder anstatt auf romantische, heroische Taten eher auf finanzielle Anreize? Diese Fragen stellen sich wohl für alle Gemeinschaftsgüter und Commons. Interessante Ansichten dazu bieten die Untersuchungen von Elinor Ostrom (+ 2012), die Garrett Hardins These widerlegen konnte am Beispiel vieler funktionierender Commons. Im Jahr 2009 bekam sie dafür den Wirtschaftsnobelpreis. Die Commons-Forschung hat diese Theorie weiterentwickelt und eine Mustersprache des Commonings entwickelt, die Menschen in ihrem gemeinsamen Tun unterstützen. Es ist wichtig, geldunabhängige Sicherheit zu schaffen, aber ohne Einkommen kommen wir nicht aus. Wem Ressourcen gehören, wie wir wieder mehr gemeinschaftlich besitzen, nutzen und bestimmen können, wird darüber entscheiden, ob eine Transformation in ein ökologisches Wirtschaftssystem gelingen kann.